Biografiearbeit in Liedform

Von Konrad Lappe
Während meiner Tätigkeit im Altersheim und Hospiz in den Zimmern stellte sich mir oft die Frage: Wie kann ich für und mit dem betreffenden Menschen im letzten Lebensabschnitt einen würdigenden Blick auf das eigene  Leben gestalten? In Text oder Hörform gibt es dazu einige Konzepte (z. B. Familienhörbuch, Würdetherapie, Validierender Lebensrückblick nach Richard ). Aber mit Tönen? Da ich instrumental nicht so bewandert bin, habe ich nach Möglichkeiten in Liedform gesucht und einige erprobt, auch für mich selbst.  

Der Grad des persönlichen Zuschnitts eines Liedes ist dabei unterschiedlich gewesen, je nachdem, wieviel Zeit ich mit dem Menschen – noch – verbringen konnte. Im Hospiz hatte ich meist nur ein oder zwei Begegnungen mit den Sterbenden. Hier habe ich dann Lieder  mit einer relativ festen Textvorlage gewählt, die aber gute Möglichkeiten der Projektion bieten. Dabei halfen die unten genannten Vorlagen bekannter LiedermacherInnen weiter.  Im Altersheim konnte ich bei wiederholten Begegnungen dann ein mehr persönlich gehaltenes Lied entwickeln, gemeinsam mit dem jeweiligen Menschen.

Musikalische Rückblicke von LiedermacherInnen auf Lebensabschnitte, auf wichtige Menschen oder das gesamte Leben  gibt es viele, beispielhaft (zu finden auf youtube o.a. Plattformen):

Reinhard Mey (50, was jetzt schon?, Vielleicht wird ich doch ziemlich alt, Dr. Behrenthal kommt und alles wird gut), Hannes Wader (Schön ist die Jugend). PUR (Ein graues Haar), BAP und Trude Herr (Niemals geht man so ganz), der schottische Liedermacher Ewan MacColl (Joy of living), Herman van Veen (Ich hab ein zärtliches Gefühl, Hey kleiner Fratz),  Frank Sinatra (My way) und die deutsche Version von Harald Juhnke (Was ich im Leben tat), Phil Ochs (Before I go) und in deutscher Fassung von Gerd  Schinkel (Bevor ich geh), Edith Piaf (je ne regrette rien).

Lebenswürdigungslieder

Lieder sprechen noch mehr Sinne  an als Worte. Sie können noch tiefer berühren. Lebenswürdigungslieder gibt es in verschiedenen Formen, auf deutsch und in einer anderen Sprache.  

 Die folgenden Beispiele zeigen  von mir erprobte Möglichkeiten:

1) Das Kinderlied „Dornröschen war ein schönes Kind“ kann in  seiner Urfassung für ältere Menschen einen Lebensbogen spannen, vielleicht sogar den eigenen. Auf die Melodie dieses -besonders bei älteren Frauen-bekanntes Liedes können Sie eigene Zeilen texten. Zeilen mit Begebenheiten, die Sie aus Gesprächen mit der betreffenden  Person erfahren haben.

2) In vorbereitenden Gesprächen bin  ich mit Menschen im Altersheim oder Hospiz der Frage nachgegangen: “Wer oder was hat mich im Leben gestärkt, mich ermutigt, mich gefördert?“ Ich fand dabei die Beobachtungen der amerik. Musiktherapeutin Ruth Pelham  bestätigt, dass es oft die Großmütter sind, aber auch andere Menschen aus Familie, Schule, Freundeskreis. Auf der Suche nach einer leichten und auch bekannten Grundmelodie stieß ich auf  „Von den blauen Bergen kommen wir“, ursprünglich ein amerik. Schlager, nach dem 2. Weltkrieg nach Deutschland gekommen und dann oft im Kindermund verändert, z.B. „….unser Lehrer ist genauso doof wie wir usw…“ Auf diese Melodie habe ich ein schlichtes Textschema mit freien Stellen gebastelt und als kleine Textkarte vorbereitet. Im folgenden Methodenblatt ist die Vorgehensweise dargestellt.  Auf diese Weise hatten die Menschen   i h r  persönliches Würdigungslied immer dabei. Diese Methode lässt sich  auch gut auf andere Situationen übertragen.

3) Aus Gesprächen mit Hospizgästen ist das Lied „Du hast mir gut getan“ entstanden, einfache Melodie, einfache Zeilentexte. Es ist eine Würdigung von Menschen, die einem im Leben hilfreich begegnet sind. Der zuhörende Mensch kann selbst einen für sich passenden  Menschen dazu erinnern. Dieses Lied haben wir mit einer kleinen Singgruppe bei verschiedenen Gelegenheiten im Hospiz gesungen.

4)Einen Lebensrückblick kann man auch im Lied von Frank Sinatra „My way“ erkennen. Es gibt deutsche Fassungen, von Harald Juhnke und Mireille Mathieu gesungen; häufig eingespielt als Lebenswürdigung bei Beerdigungen.  Eine leicht veränderte Version habe ich  getextet; sie betont noch mehr das Motto: „Ich habe versucht, das Beste aus meinem Leben zu machen.“

5) Der englische Liedermacher Ewan MacColl  hat im Alter bemerkt, dass nun sein letzter Lebensabschnitt gekommen ist. Und hat in seinem Lied „The joy of living“ in vielfacher Weise Abschied genommen: Von der Region, die ihn geprägt hat , mit ihren Pflanzen und Tieren, von seiner Frau, von seinen Kindern. In einer letzten Strophe formuliert er seine Wünsche, wie er in der Erinnerung seiner Lieben weiterleben möchte.   Als ich 2022 den langjährigen , allein lebenden Nachbarn  Harald in seinen letzten Lebenswochen begleitete, kam mir dieses Lied wieder in den Sinn.  Ich habe dann versucht, auf diese Liedstruktur  einige für ihn passende Zeilen zu texten.  Die erste Strophe mit dem regionalen Abschied, in  Haralds Situation von seiner Küsten- und  Marschenlandschaft, konnte ich ihm noch vorstellen. Für die nächsten Strophen  habe ich ihn dann als kaum ansprechbar angetroffen. Da kam ich zu spät.

Lied für Harald zum Abschiednehmen ( Text Konrad , Melodie und Aufbau orientiert am Lied von Ewan MacColl   „The joy of living“)

1)Sag ich nun Tschüß zu dir, lieb Wangerland bist mit seit Kindertagen vertraut und wohl-bekannt. Mit dem Rad fuhr ich so oft durch grüne Wiesen und  durch die  Felder. setze mich genussvoll hin zum gelben Raps konnte den Duft genießen und all das, was sprießte. Fuhr an den Strand, ging heran bis an der Wellen Rand und atmete frei den Wind, den Wind der Küste.
2)Sag ich nun Tschüß zu dir, mein Heimathaus. Konnte es neu planen , bauen    wohl jahrein jahraus. Bist mein großer Stolz, Mauerwerk und Holz hab gern drin gewohnet. Bäume und Garten, Beete und Rasen, ihr ward mir nah und auch mein Kater, den gern ich hab versorget. Hab manche Zeiten so viel gepflanzt und geerntet auch konnt mich dann an Obst und Gemüse wohl erfreuen.
3)Sag ich nun Tschüß, ihr trauten Menschen all. Mit manchen war es schwer und manche war´n mir nah. Wanee liebste Freundin, trotz weiter Ferne , blieb´n wir beinander. In deiner Heimat und  auch hier sind wir vertraut wir konnten so vieles gemeinsam, gemeinsam schaffen. Und Ihr Begleiter seit Kindheit , beim Sport und in Nachbarschaft ich sage euch einen letzten Gruß zum Abschied. (2x)

6)Auf Herman van Veens Lied „Ich hab ein zärtliches Gefühl“ lassen sich in ähnlicher Weise fördernde Menschen in der eigenen Lebensgeschichte würdigen.  Auf diese Lied-Struktur habe ich dann einen Text auf meinen verstorbenen Vater zu formulieren versucht, hab dabei aber  bald  gemerkt: Ich habe nicht nur zärtliche Gefühle ihm gegenüber. So war es dann passend, die Strophen abwechselnd mit „ Ich hab ein zärtliches Gefühl“ und „Ich hab k e i n   zärtliches Gefühl“ beginnen zu lassen.

7) Der amerik. Liedermacher Phil Ochs bzw. Gerd Schinkel haben in ihren Abschiedslied (dt. „Bevor ich geh“) (s.o.) noch einmal hervorgehoben, was ihnen im Leben wichtig geworden ist. Davon konnte ich für mich einige Zeilen  übernehmen und einige neu ergänzen. Nach meinem Liedvortrag bei einem internen Weihnachtsfest unseres örtlichen Chores kamen wir in gute Gespräche, was für die Einzelnen jeweils wichtig im Leben geworden ist.

8)Manche Menschen haben „ihr“ Lied oder Musikstück, das für sie wegweisend im Leben ist oder gewesen ist. Das kann der Gefangenenchor aus der Oper Nabucco sein, das Lied „Dat du min leevsten büst“, von den Beatles „Imagine“ oder oder. Dieses Lied herauszufinden und dem betreffen Menschen vorzuspielen, das  ist eine lohnende Schatzsuche, auch noch im letzten Lebensabschnitt.

Konrad Lappe, Jever (Kontakt mail: konrad.lappe@lebensmutig.de

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