Ich schreibe, also bin ich? Im Moment schreibe ich eher nicht, zumindest keinen Blogbeitrag, den ich zugesagt habe und schon gar nicht an dem Buchprojekt, das mich schon lange beschäftigt. Wenn ich also nicht schreibe, bin ich dann nicht? Existiere ich dann vielleicht gar nicht? „Diese Logik ist nicht erlaubt“, sagt der leidenschaftliche Informatiker, mit dem ich mein Leben teile, „das ist ein Umkehrschluss – Das ist Aussagenlogik.“
Ego cogito ergo sum (lat.) bedeutet auf Deutsch Ich denke, also bin ich. Gesagt hat das der berühmte französische Philosoph und Mathematiker aus dem 17. Jahrhundert, René Decartes. Dieser Satz ist einer der bekanntesten Erkenntnisse der Philosophie und galt als Beweis, dass unser menschliches Leben kein Traum oder eine Illusion ist, sondern Realität. Es gibt uns wirklich. Das ist sicher. Sicher ist auch, dass ich zu viel denke, und ich zweifle ständig, ein bisschen wie Decartes.
Zum Glück fällt mir ein, dass ich doch schreibe, Einkaufslisten zum Beispiel – Unmengen davon, seitdem meine Kinder nicht mehr in der Schule Mittag essen. Ständig muss ich jetzt kochen. Ich schreibe auf, was ich noch erledigen muss und keinesfalls vergessen darf, denn wir sind im Sommer umgezogen – mit Kind, Maus und Kegel. Das waren anstrengende Monate.
Ich frage Herrn Google, ob mit Kind, Maus und Kegel auch ein berühmter Philosoph gesagt hat. Nein. Die Maus ist wohl meine Dazuerfindung einer Unwissenden. Ein Kegel war im Mittelalter keine Spielfigur, sondern ein uneheliches Kind. Daher der Satzteil mit Kind und Kegel.Schön, dass die Unehelichen damals auch mit umziehen durften, obwohl sie in der Gesellschaft unerlaubt waren.
In Würzburg gibt es eine kleine Marienkapelle auf dem Nikolausberg, das Käppele. Dort wurde geheiratet, wenn die Braut bereits schwanger war. Das wusste jeder, aber immer hinter vorgehaltener Hand. Ich weiß das von meinen Großeltern. Meine Eltern, bereits schwanger mit meinem Bruder, wollten deshalb dort nicht heiraten. Ich habe einfach gar nicht geheiratet und mein Kegelchen ohne seinen Vater bekommen. Später habe ich dann aber doch geheiratet, sonst hätte ich heute einen zweiten und dritten Kegel.
In der Biografiearbeit schreiben wir auch Listen: Dankbarkeitslisten, für alles Schöne in unseren Leben oder Bucketlists – das sind Listen von Dingen, die man erlebt haben möchte, bevor man den Löffel abgibt oder wie man es im Englischen wenig feinfühlig sagt, den Eimer umstößt (to kick the bucket).
Ich beschließe wieder einmal eine Not-to-Do-Liste zu schreiben: Was kann ich bleiben lassen, um das zu tun, was mir wirklich Freude macht? Oder schreibe ich mal eine andere Einkaufsliste? Eine Liste, auf der ich notiere, was ich einkaufen würde, wenn man es denn einkaufen könnte: Vielleicht einen „Zeitentschleuniger mit der Zusatzfunktion Zeitbeschleunigung“, noch besser ein „Zeitzelt“ Wenn man da hinein geht, stoppt die äußere Zeit, solange man im Inneren das tut, was man am liebsten tun möchte. Schreiben zum Beispiel.
In Albertas Wunschladen kann man solche Dinge kaufen. Du gehst hinein und sagst, was du dir wünscht, in meinem Fall mehr Zeit für mich, und Alberta bringt dir das Passende, zum Beispiel einen großen Teppich, den man ausrollen kann, wenn man einen Parkplatz sucht oder eine Kafeekanne XXXXXL. Mit ihr kann man für ein ganzes Haus Kaffee kochen. Dort gibt es auch einen Hut für Mut oder eine aufblasbare Hantel für Stärke. Mir gefällt das Wolkenkleid besonders gut. Mit ihm kann man sich frei wie ein Vogel fühlen. Was wünschen Sie sich, lieber Leser, liebe Leserin?
Ich schreibe, also bin ich.
Und da fällt es mir wieder ein. Ich schreibe an meiner Biografie, jeden Tag, in jedem Moment. Ich bin nicht, weil ich schreibe, sondern weil ich mein Leben gestalte. Ich gestalte mein Leben, wenn ich umziehe, heirate oder auch nicht, Kinder und Kegel in meinem Leben willkommen heiße. Ich bin ich, wenn ich schreibe, weil ich so gerne schreibe. Und um die eigene Identität geht es in der Biografiearbeit.
Den Satz hat mir im übrigens mein lieber Informatiker zu Weihnachten geschenkt, gestaltet auf ganz besondere Art und Weise, wie Sie es auf dem Foto sehen können.
Sandra Deistler
Referentin für Biografiearbeit – Dipl.Kunsttherapeutin FH – Zertif. Schreibtherapeutin i.A.
Quellen: https//geo.de/geolino/mensch/18841
Walther, Martina (2023): Albertas Wunschladen. Mannheim: kunstanstifter




