Die Freude als biografischer Schatz
In der Biografiearbeit schauen wir zurück – auf Wege, Erfahrungen, Wendepunkte. Oft richtet sich der Blick dabei auf das, was schwer war: Krisen, Verluste, Brüche. Doch was wäre, wenn wir gezielt das andere suchen? Wenn wir den Fokus bewusst auf das legen, was gelungen ist, was getragen hat? Was, wenn wir uns daran erinnern, worüber wir gelacht haben oder warum unsere Augen geleuchtet haben.
Die Freudenbiografie lädt uns ein, genau das zu tun: die eigenen Lebensspuren durch die Linse der Freude zu betrachten – neugierig, offen, manchmal auch mit einem Augenzwinkern. Es geht nicht um Verklärung, sondern um das Sichtbarmachen von Lichtpunkten. Und um das Schreiben darüber.
Können Zeilen jubeln?
Können Zeilen jubeln? Warum nicht? Wenn wir uns lösen von Rechtschreib- und Grammatikregeln, wenn wir all die Stilmittel und Vorschriften, die wir in der Schule gelernt haben, außer Acht lassen, können auch Zeilen jubeln. Keine Logik, keine Wissenschaft, nur die Freude am Schreiben. Die Freude am Schreiben beim Schreiben über die Freude. Auch das Lächeln hat seine Geschichte. Auch das Lachen verdient einen Platz im Rückblick. Zeilen können jubeln.
Wie jubeln Zeilen?
Ich lege alle meine Gefühle hinein, versetze mich in die Situation, beschreibe sie – vielleicht mit anderen Wörtern als sonst. Vielleicht tanzt der Satz statt zu gehen. Vielleicht lacht ein Absatz laut auf. Vielleicht macht ein Wort einen Luftsprung. Der Kreativität, der Phantasie, in der Erinnerung an die Freude in unserem Leben seinen Lauf lassen.
Abgrenzung: Freude, Glück und Kraft
Dabei ist es wichtig, Freudenbiografie von ähnlichen Begriffen wie Glücksmomenten oder Kraftquellen abzugrenzen. Glücksmomente sind oft punktuelle Ereignisse, kurze Augenblicke, in denen wir pures Glück empfinden. Kraftquellen können Dinge sein, Erinnerungen, Handlungen und Begegnungen. Das alles kann auch Freude bereiten, die kurzen Augenblicke und die Quellen der Kraft. Für mich persönlich ist Freude mehr als ein Moment. Freude verankert sich. Es sind Szenen, Sekunden, Minuten, alles was länger dauert und ich das Gefühl habe, dauernd sagen zu müssen, „Mei ist des schee.“ (Meine Güte, ist das schön.)
Es sind Erkenntnisse, die mich vor Freude strahlen lassen. Es sind Komplimente und Wertschätzungen, die mich zuerst erröten lassen, bevor sie in meinem Herzen Platz nehmen. Es ist das Strahlen in den Augen der anderen – Freude geben und Freude annehmen.
Freudenbiografie in der Praxis
Wann war mein Herz leicht?
Wann war der Blick weit und der Atem frei?
Welches Lied zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht?
Was hat mir als Kind Freude gemacht?
Wann habe ich das letzte Mal einen Freudentanz aufgeführt? Noch nie? Dann wird es höchste Zeit.
Es lohnt sich, über all diese Fragen nachzudenken. Und wenn wir einmal damit angefangen haben, fällt es viel leichter, die Freude wahrzunehmen.
Schreiben über das, was leicht war
Gibt es noch andere Freudenwörter außer Freude, erfreut, hocherfreut, freudvoll? Wie kann ich die Gefühle beschreiben?
Man kann auch Synonyme für Freude in einen Satz packen, ohne zu sagen, worüber man sich jetzt eigentlich gefreut hat: Der Freudensturm der Glückseligkeit erreichte mich mit Entzücken, während die Heiterkeit ein Hochgefühl der Lebenslust und Zufriedenheit in mir auslöste.
Hier wird es konkreter: Der erste Ruf des Kuckucks im Frühjahr lässt mich baden in einem Gefühl der Begeisterung.
Spielen mit Worten, um die freudvollen Erinnerungen aufzuschreiben, erzeugt zusätzlich Freude.
Wenn Worte tanzen dürfen
Freudenbiografie ist kein rosarote Schleier über der Vergangenheit. Sie ist vielmehr eine Einladung, die hellen Töne bewusst wahrzunehmen – sie auszugraben, aufzuschreiben und mit anderen zu teilen. In Gruppen oder allein, auf Papier oder digital, laut gelesen oder still bewahrt.
Und dann, wenn alles stimmt; das Gefühl, die Worte – dann jubeln sie plötzlich, diese Zeilen.
Astrid Gaisberger, zert. Erwachsenenbildnerin, Trainerin für Biografiearbeit