Von Gabi Neuhaus
Mein Herz schlägt für die Kunst und ihre vielfältigen Möglichkeiten, Geschichten und sich selbst in und mit Bildern zu finden. Vorgefundenes Material wie Fotos, Briefe, Postkarten, Papierkorbschnipsel, u.v.m. ermöglicht spielerische, intuitive, kreative und sprachfreie Zugänge zu biografischem Arbeiten. Diese organisiere ich gerne am „Biografischen Collagetisch“ mit einem dazugehörigen Kunstbuffet, einer Auswahl sortierter Materialien und Werkzeuge.
Die Essensmetapher ist dabei bewusst gewählt, denn intendiert ist eine lust- und genussvolle Beschäftigung mit den vorgefundenen Ressourcen.

Der gestalterische Akt der Collage ähnelt dem des biografischen Arbeitens und verläuft in mancher Hinsicht auch kongruent. Ressourcenorientierte Biografiearbeit knüpft wie das Collagieren an Vorhandenem an. Im Vorgefundenen wird nach dem Erlebten, Möglichen oder neu zu Betrachtenden gesucht. Vergangene, gegenwärtige und zukünftige Lebensfragmente werden in der Biografiearbeit fragend und forschend in neue Zusammenhänge gestellt und erfahren – im besten Fall – Aktualisierungen im Hinblick auf spezifische Fragestellungen. Ähnliches passiert im Collageprozess: einzelne Teile werden ausgesucht und neu zusammen gesetzt, weiter aus- oder umgestaltet. In der Arbeit entsteht ein neues Bilderleben, möglicherweise eine neue Bilderzählung und ggf. auch eine Verarbeitung oder Neubewertung des mit den Einzelteilen verbundenen Erlebten.
Collage & Biografiearbeit


Was auf den Tisch kommt …
Alle vorgefundenen und individuell bedeutsamen „Biografischen Schnipsel“ eignen sich als visueller (und haptisch-kinästhetischer) Impuls für assoziative Weiterentwicklungen und als Wahrgebungsimpulse für biografisches Arbeiten. Allein der Inhalt eines Papierkorbs stellt sich bei näherer Betrachtung als reichhaltiger Fundus für Identifikation oder Erinnerung von erlebten Geschichten und Gefühlen dar.

Von Dingen, die nicht bearbeitet werden können oder sollen (z.B. Urkunden, Fahrzeuge, Gebäude, Kuscheltiere,…) können Fotos zur Weiterbearbeitung angefertigt werden.
Das Suchen, Finden, Sammeln, Aufbewahren, Sortieren, Kategorisieren und ggf. Fotografieren der Materialien ist bereits ein wesentlicher Bestandteil des Arbeitens am biografischen Collagetisch – es lenkt den Fokus auf aktuelle Fragen und Themen.

- Was ist mir wichtig?
- Was darf auf den Tisch?
- Was sind bedeutsame Wegbegleiter für mich?
- Welche Bedeutung haben sie?
- Welche Dinge stehen für mich?
- Was sagen meine Dokumente über mich aus?
- Was gefällt mir?
- Was inspiriert mich?
- Welche Materialien finde ich zu wichtigen Orten in meinem Leben?
- Was erinnert mich wie kein anderes Ding an bestimmte Personen?
- Was verändere/ bearbeite ich gerne? Was nicht?
- Was werfe ich gerne weg?
- Was erzählt der Inhalt meines Papierkorbs über mich?
- Was möchte ich neu bearbeiten?
Einfach machen
Die einfachste Möglichkeit, mit dem Collagieren zu beginnen, ist das Zusammenlegen und lose Kombinieren vorgefundener Einzelteile. Lässt man sich von Material und Intuition an die Hand nehmen, entstehen von ganz allein Geschichten und Assoziationen. Dabei geht es nicht primär um ästhetisch ansprechende Produktionen, sondern zunächst um ein Eintauchen in hervorgeholte Lebensfragmente und Erinnerungen. Die Gestaltungen, seien sie noch so „klein“, treten in Dialog mit ihrem Schöpfer.




Eine weitere einfache Möglichkeit ist, Fotomaterial zu reframen, d.h. Figuren aus dem Bildhintergrund zu lösen, evtl. vor einen neuen Hintergrund zu setzen oder neu zu dekorieren. Textmaterial kann hinzugefügt oder als Grundlage verwendet werden.
Wertvolle Impulsgeber können beliebige Alltagsmaterialien sein. Als Bildträger können sie z.B. den Rahmen oder das Thema einer Geschichte vorgeben.


Etwas für alle
Der Collagetisch ermöglicht biografisches Arbeiten für unterschiedlichste Altersstufen, Temperamente und Begabungen. Eine künstlerische Neigung ist nicht erforderlich.
Insbesondere für große Gruppen z.B. in Schulen, Workshops oder ähnlichen settings ermöglicht Collagieren im Hinblick auf biografisches Arbeiten nicht nur individuell differenzierbare Zugänge auf bildnerischer, symbolhafter Ebene, sondern eröffnet ein breites Portal intuitiver Herangehensweisen an Themen, Motive und Fragestellungen.
Gabriele Neuhaus, Freie Kunstpädagogin
Atelier Neuhaus, Kattenhol 3, 59494 Soest
www.atelier-neuhaus.de hallo@atelier-neuhaus.de
https://www.instagram.com/atelierneuhaus/
https://www.etsy.com/de/shop/AtelierNeuhaus
Literatur
Gabi u. Thorsten Neuhaus: Das eigene Leben gestalten. Biografiearbeit und Kunst mit Kindern und Jugendlichen. 80 Impulskarten. BELTZ Verlag 2023
Jane Chipp, Jack Ravi: Artful Memories: How to create unique art with old photographs – 25+ inspiring projects and mixed media techniques, 2021
Hollie Chastain: Schneiden, Kleben, Collagieren: So entstehen kunstvolle Collagen aus Papier. Haupt Verlag 2018
Randel Plowman: The Collage Workbook. Lark Books 2012
Andrea D´Aquino: Es war einmal ein Stück Papier. Haupt Verlag 2016