Pflege/n? Pflege/n! Ein Thema, das unter die Haut geht

Pflege

Von Ruth Bühler-Schuchmann

Pflegen … eine Tätigkeit, die wir täglich ausführen, ohne groß darüber nachzudenken. Für mich ist zunächst klar, dass es sich um eine professionelle Tätigkeit der Kranken- und / oder Altenpflege handelt und somit für mich ein Leichtes ist, darüber zu schreiben, begleitet mich dieses Thema doch seit nunmehr 48 Jahren beruflich. Und dann kamen immer mehr Fragezeichen.

Ich möchte Sie einladen, mit mir auf eine Frage-Reise rund um das Thema Pflege / pflegen zu gehen. Wenn Sie mögen, legen Sie Stift und Papier zurecht und schreiben Ihre eigenen Gedanken dazu auf.

Definitionssuche

Neugierig geworden wollte ich mehr wissen und befragte den guten alten Duden – zugegeben online. Dieser informiert mich zur Herkunft des Wortes: „mittelhochdeutsch pflegen, althochdeutsch pflegan, ursprünglich: für etwas einstehen, sich für etwas einsetzen. Die Herkunft ist ungeklärt.“

Und wie das im Online-Format so ist, stöberte ich gleich auch noch nach Definitionen zu pflege/n:

  • Sich sorgend um jemanden [der krank, gebrechlich ist] bemühen, um ihn in einen möglichst guten [gesundheitlichen] Zustand zu bringen oder darin zu erhalten.
  • Sich um die Förderung oder [Aufrecht]erhaltung von etwas Geistigem [durch dessen Betreiben, Ausübung] bemühen, sich dafür einsetzen.

Seitdem beschäftigt mich das Thema „pflege/n“ noch mehr. Ich habe ein Listengedicht begonnen und es wird immer länger … ich habe wahrlich viel zu pflegen.

Vielleicht haben Sie Lust, auch ein Listengedicht zu schreiben? Ein Blatt Papier, ein Stift und los geht es. Schreiben Sie, wie bei einem Einkaufszettel, alles, was Sie pflegen untereinander … und staunen Sie.

Sich pflegen – ganz persönlich

Stellen Sie sich vor, Sie wachen auf und nach dem Sie sich genüsslich wach geräkelt haben, starten Sie in den Tag:

  • Welche Rituale sind Ihnen wichtig? Erst Kaffee und dann Bad? Oder umgekehrt? Oder …?
  • Welche Wassertemperatur mögen Sie beim Duschen? Wie muss das Handtuch beschaffen sein? Groß? Klein? Hart? Weichgespült? Welchen Druck mögen Sie beim Abtrocknen?
  • Benutzen Sie noch die gleiche Pflegelotion wie vor zwei Jahren oder probieren Sie öfter mal etwas Neues aus?
  • Wann entscheiden Sie, was Sie heute anziehen?
  • Was schmeichelt Ihrer Haut und Ihrer Nase? Was mögen Ihre Ohren in der Früh?
  • Was brauchen Sie heute, um sich wohlzufühlen?

Oder so: pflegen – ein „normaler“ Morgen

  • Die Personaldecke ist dünn.
  • Die Arbeit von kurzfristig erkrankten Kolleg*innen muss mit übernommen werden.
  • Mitarbeiter*innen werden aus der Freizeit geholt, damit die Versorgung der alten Menschen gewährleistet ist.
  • Um 8:30 Uhr gibt es Frühstück. Bis dahin müssen alle alten Menschen versorgt sein.
  • Herr XY ist heute wieder sehr unruhig und sperrt sich gegen Alles. Der soll sich jetzt mal nicht so haben. Ich hab noch fünf andere fertig zu machen.
  • Der neue Schüler ist nun schon die zweite Woche da und hat immer noch keine Ahnung, wo er hinlangen muss. Er steht mir einfach immer nur im Weg rum.
  • Die Medikamente müssen verteilt, das Insulin vor dem Frühstück gespritzt werden.
  • Oh nein. Ich habe doch Frau ABC gerade gewaschen und fertig gemacht. Jetzt hat sie sich ausgezogen und läuft halb nackt hier herum und sucht ihr Kleid.
  • Und dann liegt uns die Chefin dauernd in den Ohren, wir sollen biografisch arbeiten. Wie soll das denn gehen? Wir haben den Biografiebogen doch ausgefüllt. Das muss reichen.

Und jetzt?

  • Sie glauben sicher, ich übertreibe. Möglich. Ich hoffe. Vielleicht habe ich an der einen oder anderen Stelle etwas überspitzt beschrieben.
  • Leider höre ich von Auszubildenden, von Pflegekräften und (pflegenden) Angehörigen immer wieder oben beschriebene Situationen. Satt – sauber – trocken – ist das der Alltag und die (Pflege-)zukunft?

Zukunftsmusik: Spurensuche nach Ressourcenzipfeln

Immer dann, wenn ich biografische Elemente in meinen Unterricht einbaue, erlebe ich auch das andere: Geschichtchen und Geschichten, erzählen, schwärmen und leuchtende Augen.

Andererseits ist nicht wegzuleugnen, dass Pflegende – in den Pflegeeinrichtungen und zu Hause – durch strukturelle Gegebenheiten immer öfter an Ihre Belastungs-Grenzen stoßen. Viele gut ausgebildete und engagierte Pflegekräfte kehren nach wenigen Berufsjahren dem Pflegeberuf den Rücken und arbeiten in anderen Bereichen oder scheiden durch Krankheit aus. Klar ist, dass eine Änderung auf die Schnelle und zum Nulltarif nicht möglich ist. Zu groß sind die Baustellen im gesamten Pflegebereich.

Zu Bedenken ist ebenfalls, dass die Zahl der pflegebedürftigen Menschen und der Pflegenden aus unterschiedlichen Kulturen zunimmt. Inzwischen sind immer mehr Menschen, die in den 1960er-Jahren zum Arbeiten nach Deutschland kamen, auf pflegerische Unterstützung angewiesen und in den Pflegeberufen arbeiten zunehmend mehr Menschen mit Migrationshintergrund, was zu neuen Herausforderungen führt.

Wie wäre folgendes biografisches Szenario?

  • Der Personalschlüssel ist so ausgestattet, dass genügend Zeit für die zu Pflegenden da ist.
  • Die Pflegekräfte erhalten die Möglichkeit, sich in Methoden der Biografiearbeit fort- und weiterzubilden. Sie werden freigestellt und/oder bekommen die Weiterbildung bezahlt.
  • In den Seminaren reflektieren die Pflegenden ihre eigene Geschichte, lernen ihre Ressourcen besser kennen und können in ihrem Arbeitsumfeld für sich und ihre Klientel eine konstruktivere Pflege-Arbeits-Beziehung aufbauen.
  • Pflegende nutzen die erworbenen Kenntnisse zur Selbstpflege und somit auch zur Gesundheitsfürsorge, was zu weniger Arbeitsausfällen führen kann.

Und zum guten Schluss

  • Pflege = die Gewohnheit haben, etwas Bestimmtes zu tun. (Duden)
  • Welche liebgewonnenen Rituale pflegen Sie am kommenden Sonntag?

 

Ruth Bühler-Schuchmann

Krankenschwester / Lehrerin für Pflegeberufe / Biografiearbeiterin / Traumaberaterin
systemisch-lösungsorientiertes Coaching

www.heute-gestern-morgen.info

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